Studium
in Albanien "So bekommt ihr nur
Esel"
[Shkollimi ne Shqiperi: "Keshtu dalin vec gomere"
Im
Reiseführer wird Albanien neuerdings als Geheimtipp gehandelt, die Hauptstadt
Tirana gilt als "Partystadt". Nur an den Unis des krisengeprüften
Landes ist weiterhin Stillstand angesagt. Die Studenten wehren sich - mit
tierischen Aktionen.
nga Mirko Heinemann
E enjte, 24.01.2008
Im
Deutschkurs wird heute diskutiert. Was sie an ihrer Uni in Albanien vermissen -
das sollen die Germanistik-Studenten sagen. Ivana Tsika, eine junge Frau mit
langen schwarzen Locken, meldet sich als erste: "In der Bibliothek gibt es
fast keine Bücher", sagt sie. "Wir bekommen nur Fotokopien, die die
Dozenten an uns verteilen." Auch am Fachbereich Informatik fehle es an
allem: "Wir lernen nur Theorie. Es gibt überhaupt keine Computer."
Rund
30.000 Studenten sind derzeit an den acht albanischen Unis eingeschrieben,
allein 14.000 studieren an der Staatlichen Universität Tirana. Sie alle
bekommen zu spüren, dass Albanien eines der ärmsten Länder Europas ist - weil
es noch immer unter der Isolationspolitik des einstigen Diktators Enver Hoxha
leidet. Das kommunistische Regime hinterließ einen völlig maroden
Staatshaushalt. Fachkräfte verließen in Scharen das Land, es gab
Schattenwirtschaft und Korruption. 1997 brach das Finanzsystem zusammen, in
Albanien gab es Bürgerkrieg.
Seit
einigen Jahren berappelt sich das kleine Land mit seinen etwa 3,1 Millionen
Einwohnern wieder, die Wirtschaft wächst. Vor allem die Hauptstadt Tirana hat
sich gemausert. Der Reiseführer "Lonely Planet" kürte Tirana zum
Geheimtipp, zur "Partystadt", die junge Reisende aus aller Welt
anzieht.
"Mjaft"
heißt "genug"
Doch
an den Unis merkt man von diesem Wandel wenig. Die 21-jährige
Psychologie-Studentin Edlira Mullaj klagt vor allem über den geistigen
Stillstand. "Albanien hat sich entwickelt, aber nur materiell", sagt
sie. "Viele Professoren sind irgendwo in den fünfziger Jahren stehen
geblieben. Selbständiges Lernen findet kaum statt, wir lernen wie
Papageien." Zwar ist Albanien offiziell in den Bologna-Prozess
eingebunden, der die Lehrpläne der europäischen Unis angleichen soll.
"Doch vieles steht hier nur auf dem Papier", sagt DAAD-Lektor Jürgen
Röhling.
Einige
Studenten wollen sich mit diesem Zustand nicht abfinden. Ende 2007
demonstrierte eine Gruppe von Aktivisten vor dem Parlament. Sie hatten zwei
Esel dabei und forderten mehr Geld für die Bildung. "Unsere Botschaft lautet:
Mit diesem Budget bekommt ihr nur Esel", sagt der Aktivist Kristi Pinderi.
Derzeit liege der Etat bei 3,1 Prozent des Staatshaushalts. "Das ist weit
unter den europäischen Standards."
Pinderi
gehört zu einer gut ausgebildeten Elite von Albanern, die sich bewusst dazu
entschieden haben, im Land zu bleiben. "Ich liebe das Chaos in
Albanien", sagt er. "Chaos ist Bewegung, und Bewegung ist
Leben." Trotzdem will der 24-Jährige, dass sich etwas ändert. Darum
arbeitet er bei der studentischen Bewegung "Mjaft" mit, die auf Deutsch "Genug!" heißt. Die
Mjaft-Aktivisten protestieren gegen die Verhältnisse, die besonders junge
Menschen aus dem Land treiben. Sie prangern Korruption und Misswirtschaft an, organisieren
Demonstrationen und politische Festivals.
Der
28-jährige Arbjan Mazniku hat die Mjaft-Bewegung vor vier Jahren zusammen mit
Freunden gegründet. "Wir wollen nicht auswandern, sondern hier etwas
verändern", sagt er. "Albanien ist unsere Heimat." Mjaft
orientiert sich an studentischen Bewegungen anderer osteuropäischer Länder. So
wie "Pora" ("Es ist Zeit") in der Ukraine die orangene Revolution mit ausgelöst hat und Otpor (Widerstand) in Serbien den Sturz von
Slobodan Milosevic, will Mjaft zur Teilnahme an demokratischen Prozessen
aufrufen.
"Europa
öffnet seine Arme nicht"
Der
größte Erfolg der albanischen Aktivisten? "Vergangenes Jahr hat die
Regierung nach Mjaft-Protesten das Bildungsgesetz geändert. Erstmals wurde die
Unabhängigkeit der Lehre festgeschrieben", sagt Arbjan Mazniku.
Doch
nicht nur mit der Regierung haben die jungen Albaner zu kämpfen. Es gibt auch
noch ein anderes Problem: Vorurteile. Im
westlichen Ausland hat Albanien weiterhin keinen guten Ruf. "In
Deutschland sieht man uns als Drogendealer, als Verbrecher. Das Bild stimmt
nicht, und es gefällt uns nicht", sagt der Germanistik-Student Afrim
Cicerukaj. Durch die restriktive Visumsregelung für Reisen nach Westeuropa und
die schlechten Chancen auf eine EU-Mitgliedschaft fühlt sich der Student
diskriminiert: "Wir Albaner sehnen uns nach Europa. Aber Europa öffnet
seine Arme nicht."
Das
Bild von Albanien - in Deutschland ist es durch die Flüchtlinge aus dem Kosovo
geprägt, glaubt der Germanist und DAAD-Lektor Jürgen Röhling. Er war
"positiv überrascht", als er 2006 nach Albanien kam. "Über
Albanien weiß man in Deutschland eigentlich gar nichts."
Nicht
weit von der Universität entfernt, im so genannten "Blockviertel",
bereitet sich Tirana auf die Nacht vor. Früher war der "Block" die
Gegend der Funktionäre, heute reihen sich hier Dutzende von Bars, Cafés,
Restaurants und Live-Musik-Clubs aneinander. Es gibt italienische Pizzerien, griechische
Tavernen, französische Bäckereien und sogar ein Café Berlin. Ältere Leute
beklagen angesichts der Vielfalt, Albanien habe seine Kultur verloren. Die
Jungen sehen das anders. Wenn sie als Albaner nicht nach Europa dürfen, dann
holen sie Europa eben her.